2023 - Kongress in Potsdam

Der Öffent­liche Gesund­heits­dienst – Wichtiger denn je!

Der 72. Wissenschaftliche Kongress des BZÖG und des BVÖGD fand in der Zeit vom 27. bis zum 29. April 2023 in Potsdam statt. Er stand unter dem Motto:

Der Öffentliche Gesundheitsdienst – Wichtiger denn je!

Mit rund 1.100 Gästen war dieser Kongress so gut besucht wie selten einer. Lag es daran, dass die Sehnsucht nach Weiterbildung und kollegialem Austausch nach dem Wegfall aller Corona-Schutzmaßnahmen bei Kolleginnen und Kollegen unendlich groß war? Oder zeigte sich hier schon der durch den Pakt für den ÖGD angestrebte Personalzuwachs? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ließ es sich auf jeden Fall nicht nehmen, persönlich zur Eröffnung des Kongresses zu sprechen und auf die Vorzüge der vom Bund für den Ausbau des Öffentlichen Gesundheitsdienstes bereitgestellten 4 Milliarden Euro hinzuweisen.

Auch die Zahnärztinnen und Zahnärzte waren zahlreich nach Potsdam gereist, sodass zeitweise die Sitzplätze im Tagungssaal rar waren. Traditionell eröffnete die gastgebende Landesstelle den Vortragsblock am Donnerstagmorgen. Ein Novum jedoch war, dass der Präsident der Landeszahnärztekammer Brandenburg, Jürgen Hebert, persönliche Grußworte an das Publikum richtete, ein Ausdruck der Achtung und Anerkennung für die Leistungen der Zahnärztlichen Dienste in Brandenburg. F. Jarick und J. Wolf stellten die besondere Organisationsstruktur der Zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe in Brandenburg vor. Neben dem Beirat für Zahngesundheit und dem Büro der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe sind die Zahnärztinnen und Zahnärzte des ÖGD in Brandenburg auch im Fachausschuss und dem Bündnis Gesund Aufwachsen aktiv. Über den Ablauf des zahnärztlichen Betreuungscontrollings als Instrument des Kinderschutzes im Landkreis Oberhavel berichtete A. D. Stutz. Die enge Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Jugendärztlichen Dienst und auch mit den Fallbearbeitern im Jugendamt sind für den Erfolg grundsätzlich wichtig.

U. Brix zeigte in diesem Jahr – in Fortsetzung des Themas aus dem vergangenen Jahr – dass trotz Vermittlung der KAI-Putztechnik ab dem Kindergarten nur bei wenigen der befragten die 12-jährigen richtige Zahnputztechniken abrufbar waren. Sie zeigte Strategien auf, wie neue Konzepte für die Gruppenprophylaxe dies verbessern könnten. S. Fiedler berichtete, dass Zahnbehandlungsangst auch ein Thema für den zahnärztlichen Dienst sein kann. Im Rhein-Erft-Kreis wurde dafür eine spezielle Sprechstunde eingerichtet, es gibt Schulungsangebote und spezielle Tipps auf der Homepage des Zahnärztlichen Dienstes.

Dank des großen Engagements des für die Akquise der Referentinnen und Referenten verantwortlichen BZÖG-Vorstandsmitglieds, U. Niekusch, gab es auch am Freitag und Sonnabend wieder ein buntes Potpourri interessanter Vorträge aus Praxis und Wissenschaft. Den Freitagmorgen eröffnete A. Weißenborn vom Bundesinstitut für Risikobewertung mit der Problematik der Fluoridanwendung in der Kariesprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen. Die 2022 veröffentlichte Kinder-Ernährungsstudie zur Erfassung des Lebensmittelverzehrs zeigte, dass über die Hälfte aller Kinder täglich ein Fluoridsupplement bekommen haben, 10 % aller Kinder jedoch nicht mit Fluorid in Berührung kamen – weder in Zahnpasta, noch in Salz oder in Tablettenform. Der Vergleich mit der KiGGS-Basiserhebung aus 2006 offenbarte, dass gerade kleine Kinder bis zu 5 Jahre 10 Jahre später weniger Fluorid erhielten. Frau Weißenborn forderte eine verstärkte Aufklärung über Nutzen und Risiko der Fluoridanwendungen, eine bessere Verbreitung der 2021 verabschiedeten Handlungsempfehlungen sowie weitere repräsentative Datenerhebungen.

G. Göstemeyer zeigte anhand von Beispielen von Veröffentlichungen über re-/mineralisierende Substanzen für die Kariesprävention, dass Industrieförderung Studienergebnisse auf den Ebenen von Studiendesign, Ergebnissen und Berichterstattung beeinflussen kann. Vermeintlich evidenz-basierte Aussagen aus gesponserten klinischen Studien sollten kritisch hinterfragt werden. Bioluminszenz als Möglichkeit zur Beurteilung der Kariesaktivität, die allerdings derzeit nicht in Europa verfügbar und für die zahnärztlichen Untersuchungen in den Schulen wegen des hohen materiellen Aufwands eher nicht empfehlenswert ist, stellte A. Jablonski-Momeni in den Mittelpunkt ihres Vortrags. Kurzweilig und einprägsam interpretierte F. Schwendicke die Rolle der künstlichen Intelligenz in der Kariesdetektion, - dokumentation und Kommunikation. Er postulierte, dass eine moderne Diagnostik eine moderne, minimal-invasive Therapie nach sich ziehen soll. Dass neue Medien bei der Steigerung der Mundgesundheitskompetenzen besonders auch bei Menschen mit Migrationshintergrund helfen können, zeigte G. Aarabi mit der Evaluation der vorgestellten Präventions-App. Das kultursensible Schulungsprogramm kann derzeit fünf Sprachen, setzt besonders auf Piktogramme und interaktive Videos und berücksichtigt kulturelle Diversität – wie beispielsweise Speisen aus verschiedenen Kulturkreisen.

Mit vielen Zahlen und Tabellen interpretierte L. Krause vom Robert-Koch-Institut die Ergebnisse einer bundesweiten Telefonumfrage im Rahmen der Bundesstudie Gesundheit in Deutschland 2019/2020 zu Beeinträchtigungen beim Kauen und Beißen bei älteren Menschen in Deutschland. Die Analysen wurden in das European Health Interview Servey (EHIS) integriert. E. Ludwig begeisterte wie immer das Publikum mit seinem spritzigen Vortrag zur Mundgesundheit in der Pflege. In diesem Jahr stellte er die auf Expertenstandards beruhende Lernplattform www.mund-pflege.net vor. Diese internetbasierte Lernplattform ist frei von kommerziellen Interessen, baut auf anschauliche Bilder und Filmszenen und ist mit seinen Hintergrundinformationen adressiert an Pflegende, richtet sich aber auch an Zahn- und Mediziner sowie alle am Thema Interessierten.

Insgesamt vier Poster standen am Freitagnachmittag zur Diskussion:

  1. L. Nodurft „Verbreitung von Zahnversiegelungen bei Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt – Bewertung des Prophylaxe-Potentials und Ableitung eventueller Handlungsbedarfe“
  2. S. Borutta „Soziale Lage und die Zustimmung der Erziehungsberechtigten zur Teilnahme am Kariesrisikoprogramm“
  3. P. Petrakakis „Das Stufenmodell für Kinder mit Verdacht auf Dental neglect“
  4. F. Heuser „Die Adhärenz zum Zahnarztbesuch bei Patienten mit Zahnbehandlungsangst nach durchlaufener kognitiver Verhaltenstherapie“

Die Vortragsreihe am Sonnabendmorgen eröffnete C. Preiser, die aus Sicht der Versorgungsforschung Ergebnisse einer Interviewstudie mit Zahnärztinnen und Prophylaxe-Fachkräften zur Arbeit der Kinder- und Jugendzahnpflege im ÖGD in Baden-Württemberg vorstellte. Ihre Thesen zum Präventions-Dilemma wurden anschließend ausführlich diskutiert. Bereits mit dem Wrigley Prophylaxe Preis geehrt wurde das im Anschluss von S. Wilczek vorgestellte Projekt „Aktion Mäusezähnchen“, ein Gruppenprophylaxe-Programm für unter Dreijährige. Es besteht aus Basis- und Wahlbausteinen und lässt sich so mit den Akteuren vor Ort an die Gegebenheiten anpassen.

M. Wirt-Gödde brachte in ihrem Vortrag die zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen in den ersten Klassen mit dem Kinderschutz in Verbindung und erläuterte anschaulich die Grundlagen dafür und das Vorgehen im Kreis Calw. Mit ihrem Vortrag „Fluoride in der Kariesprophylaxe in Deutschland – klinische Sicherheit und unerwünschte Nebenwirkungen“ beendeten A. Bergmann und P. Petrakakis den Kongress . Unterhaltsam nahmen beide das Publikum mit in die Welt der richtigen und falschen Pressemeldungen. Sie forderten die Kollegenschaft auf, noch besser Sorgeberechtigte aufzuklären und die Öffentlichkeit zu informieren über den präventiven Nutzen von Fluoriden ohne dabei potentielle Risiken aus den Augen zu verlieren. Sie empfahlen dazu den Einsatz einer Fluoridrechner-App.

Die Diskussionen nach den Vorträgen haben gezeigt, dass die Themen der Vorträge Anregung und Bereicherung für die tägliche Arbeit sein können. Der kollegiale Austausch ist dabei stets ein wichtiger Part dieser Fortbildung. Deshalb freuen wir uns auf den nächsten Kongress vom 24. bis 27. April 2024 in Hamburg.

Im internen Bereich wurde das Protokoll der Delegiertenversammlung des BZÖG veröffentlicht.

 

Kindermund in Brandenburg F. Jarick
Zahnärztliches Betreuungscontrolling als Instrument des Kinderschutzes im Landkreis Oberhavel A. D. Stutz
Zahnputzkompetenzen im Setting Grundschule U. Brix
Zahnbehandlungsangst - (k)ein Thema für den Zahnärztlichen Dienst S. Fiedler
Fluorid in aller Munde? – Kariesprophylaxe mit Fluorid bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland A. Weißenborn
Industrieförderung klinischer Studien in der Zahnmedizin – gekaufte Evidenz? G. Göstemeyer
Biolumineszenz – Ein aktueller Ansatz zur Erfassung von Demineralisationen im Schmelz A. Jablonski-Momeni
Künstliche Intelligenz – und dann? Moderne Diagnostik für moderne Therapie! F. Schwendicke
Steigerung der Mundgesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund – Evaluation einer evidenzbasierten Präventions-App G. Aarabi
Beeinträchtigungen beim Kauen und Beißen bei älteren Menschen in Deutschland. Ergebnisse der bundesweiten Studie GEDA 2019/2020-EHIS L. Krause
Mundgesundheit in der Pflege – Expertenstandard & Lernplattform E. Ludwig
Präventives Arbeiten in der Kinder-/ Jugendzahnpflege im ÖGD. Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie mit ZahnärztInnen und Prophylaxe-Fachkräften C. Preiser
Aktion Mäusezähnchen S. Wilczek
Warum Zähneputzen in der Kita Sinn macht! M. Wirt-Gödde
Fluoride in der Kariesprophylaxe in Deutschland - klinische Sicherheit und unerwünschte Nebenwirkungen A. Bergmann, P. Petrakakis

 

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