2019 - Kongress in Kassel

Der Öffentliche Gesundheitsdienst - Mitten in der Gesellschaft

Mit diesem Motto betonte der 69. Wissenschaftliche Kongress der Verbände der Zahnärztinnen und Zahnärzte und der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), der vom 4. bis 6 April 2019 in Kassel stattfand, die zentrale Rolle des ÖGD im deutschen Gesundheitswesen.

Noch vor Kongresseröffnung versammelten sich über 600 Kongressteilnehmer vor den Toren des Kongress Palais Kassel und setzten sich lautstark für die vom Marburger Bund unterstützten Forderungen der Bundesverbände ein:

Weiteres Ausbluten der Gesundheitsämter muss gestoppt werden!

Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst fordern Bezahlung nach Ärztetarif!

Das zahnmedizinische Vortragsprogramm begann bereits am Donnerstagvormittag mit der traditionellen Vorstellung des gastgebenden Bundeslandes und den hiesigen Strukturen der Jugendzahnpflege. Rümmelin-Thoma (Kassel) und Bausback-Schomakers (Frankfurt a. M.) zogen dabei den geschichtlichen Bogen von den Brüdern Grimm über Goethe, der den Zwischenkieferknochen entdeckte, hin zu OMR Tholuck, den Begründer des Frankfurter Systems der Jugendzahnpflege, dass die Untersuchung durch haupt- und nebenamtliche Zahnärzte und die Behandlung in selbständigen Zahnarztpraxen vorsieht. Das 1981 in Marburg gestartete Programm einer systematischen lokalen Fluoridierung in den Schulen ist ebenso mit Hessen verbunden wie die Universitäten in Gießen und Marburg, Prof. Wetzel und Prof. Pieper. Entsprechend des Hessischen Gesundheitsdienstgesetzes (HGöG) führen die Gesundheitsämter „regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen ...Die Gesundheitsämter beraten und betreuen Kinder und Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr sowie ihre Sorgeberechtigten, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer bei der Gesunderhaltung der Zähne sowie des Mund- und Kieferbereiches. Die Gesundheitsämter können Informationen zur Zahnhygiene und Zahngesundheit auch für andere Altersgruppen anbieten.“ 146 Kitas konnten bisher die Zertifizierung „Rundum mundgesund“ erhalten, da sie die 5 Sterne der hessischen Gruppenprophylaxe (Zähne putzen zuhause direkt nach dem ersten Frühstück; Zuckerfreier Vormittag und Zähne putzen üben; Süßes am Nachmittag - bewusst und maßvoll; Eltern putzen nach dem Abendessen Kinderzähne sauber; Zweimal jährlich zur zahnärztlichen Vorsorge – fürs Baby ab der Schwangerschaft) in ihrer Konzeption verankert, Elterngespräche stattgefunden und alle pädagogischen Fachkräfte an einer Fortbildung teilgenommen haben. Ebenfalls in Hessen wurde eine Studie zum Zusammenhang von Lebensmittelwerbung und Essverhalten durchgeführt und von von Nordheim (Sheffield) vorgestellt. Die Wirkung selbstgedrehter Werbespots wurde an Kindergartenkindern getestet. Aber selbst nach acht Wochen, in denen die Kinder nur Werbung mit gesunden Lebensmitteln gesehen haben, greifen sie zur Schokolade, wenn sie auf dem Tisch liegt. Das Fazit lautete: zuckerfreier Vormittag als beste Verhältnisprävention. Über Ernährung und Verpflegung sprach auch Kappelhoff (Marburg). Sie stellte das erfolgreiche Projekt eines „Ernährungsführerscheins“ vor, dass seit 10 Jahren in Grundschulen der Stadt Marburg etabliert ist.

In ihrem Vortrag „Erkrankungen der Mundschleimhaut - was muss ich erkennen, was muss ich tun?“ zeigte Petruchin (Wiesbaden) anhand zahlreicher Bilder, bei welchen Veränderungen in der Mundschleimhaut unbedingt weiter diagnostiziert werden sollte.

Das Freitagprogramm eröffnete, da Frau Dr. Rojas erkrankt war, Bels (Potsdam) vom Büro zahnärztliche Gruppenprophylaxe im Land Brandenburg. Sie berichtete über die Struktur, die Inhalte, die Zielsetzung und die Ergebnisse der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe im Land Brandenburg. Das überaus erfolgreiche System der Brandenburger Gruppenprophylaxe wurde bereits mehrfach ausgezeichnet und ist regelmäßig in einschlägigen Veröffentlichungen zu finden. Grundmann (Duisburg) informierte über die „forensische Altersdiagnostik bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden“, zu der neben dem Röntgenbild der Hand und des Schlüsselbeins auch ein OPG zur Einschätzung des Wachstums der Weisheitszähne gehören kann. „Seltene Erkrankungen in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ waren das Thema von Hanisch (Münster). Als seltene Erkrankungen werden solche definiert, die weniger als 5 von 10.000 Menschen betreffen. Der lange Leidensweg vom Symptom zur Diagnose soll für die Betroffenen durch eine bessere Aufklärung und Information der Mediziner verkürzt werden. Die Datenbank unter romse.org ist dafür ein Mittel. Der 2. Nationale Kongress „Seltene Erkrankungen in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ findet am 25. November 2019 an der Uni Münster statt.

Das Vortragsprogramm am Freitagnachmittag beinhaltete unterschiedliche Themen. Schilke (Hannover) war beteiligt an der Erarbeitung der neuen AWMF S3 (+) Kinderschutzleitlinie. Er erläuterte, dass es gelungen war, zahnmedizinische Fragen und Handlungsempfehlungen mit in die Leitlinie einzubringen. Dabei sind für die zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen nicht nur die fünf zahnmedizinischen Handlungsempfehlungen (Nr. 30 - 34) von Bedeutung. Zahnärztinnen und Zahnärzte sollen sich auch als wichtiger Partner im Netzwerk Kinderschutz verstehen (Nr. 12 - 15) und in einem multiprofessionellen Team bei der Diagnostik des Verdachts auf eine Kindesmisshandlung beteiligt werden bzw. andere Fachbereiche beteiligen. „Diagnose MIH - und was dann?“ lautete der Vortrag von Giraki (Frankfurt am Main), in dem sie die Möglichkeiten eines präventiv-prophylaktischen Vorgehens und der zeitweiligen und definitiven Versorgung MIH-geschädigter Zähne aufzeigte. Dass „Gruppenprophylaxe“ nicht mit dem Ende der Schulzeit aufhören muss und niedrigschwellige Präventionsangebote in den Lebenswelten integriert werden können, stellte Zimmer (Witten) dar. Da die Hürden für die Verwendung von fluoridiertem Speisesalz im Kantinenessen zu hoch sind, bieten sich eine kostenlose Ausgabe von zuckerfreiem Kaugummi und Mundspüllösungen an. Aktuell wird die Wirksamkeit eines solchen Programmes im Rahmen eines Pilotprojektes untersucht. Mit jugendlicher Frische berichtete Nguyen (Köln), Studentin im 6. Semester an der praxisHochschule Köln, über die Zahnpflege in unterschiedlichen Regionen ihres Heimatlands Vietnam. Für ihr Programm „Dentalhygiene - ein Konzept für Entwicklungsländer in Asien“ stellte sie eine eigene Nachweismethode für die Blutungsneigung der Gingiva vor.

Der abschließende Sonnabendvormittag wurde wieder überwiegend von hessischen Kolleginnen und Kollegen bestritten. Schreiber (Gelnhausen) untersuchte die Mundhygiene und die Mundbefunde in Pflegeheimen und stellte fest, dass mehr als die Hälfte der Heimbewohner Defizite in der Grob- und Feinmotorik aufwiesen und so nicht genügend zur eigenen Mundhygiene befähigt sind. Praktische Schulungen zur Mund-, Zahn- und Prothesenpflege wurden in den von ihr aufgesuchten Einrichtungen vom Pflegepersonal ausdrücklich gewünscht. Weitz (Bürstadt) berichtete über die zahnärztliche Betreuung von Pflegebedürftigen in Hessen, wo aktuell 39 % der Einrichtungen einen Kooperationsvertrag mit Zahnarztpraxen abgeschlossen haben. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 27 %. Er machte auch darauf aufmerksam, dass die häusliche Betreuung schwieriger ist als in stationären Einrichtungen und wies hier auf die Einbeziehung der mobilen Altenpflege und der Landfrauenverbände hin. Wie die Fähigkeit der Senioren und Pflegebedürftigen für feinmotorische Tätigkeiten wie die Mundhygiene standardisiert getestet werden kann, erklärte Kwetkat (Jena). Als geriatrischen Assessment-Test empfiehlt sie den Geldzähltest nach Nikolaus und den Nackengriff. Das Bestehen des Tests war in ihrer Studie signifikant mit einer effektiveren Plaquereduktion an Zähnen und Prothesen assoziiert. Wleklinski (Herborn) plädierte für eine Aufwertung der Zahnärztlichen Dienste in den Ämtern. Als „Kommunaler Zahnarzt im Gesundheitsamt“ sollte er ein selbständiges Fachamt verwalten. Die Erweiterung des Aufgabenspektrums vom „Schulzahnarzt“ hin zum Zahnarzt, der auch Ansprechpartner für Senioren, Pflegebedürftige und deren Angehörige ist, Unterricht in Altenpflegeschulen abhält, an Hygienebegehungen beteiligt und zahnmedizinischer Gutachter ist und darüber hinaus für ein ganzes Team die Personalverantwortung hat, verdeutlicht diese Aussage.

Die Posterausstellung, bei der wieder drei zahnmedizinische Poster vertreten waren, aber auch die Industrieausstellung und das Abendprogramm boten wieder viel Gelegenheit zum kollegialen Austausch. Das nächste Mal treffen wir uns zum 70. Wissenschaftlichen Kongress in Saarbrücken – vom 23. bis 25. April 2020.

Vorstellung der Landesstelle Hessen Dr. Bausback-Schomakers
Medien und Gesundheitsverhalten von Nordheim
Ernährung und Verpflegung für gesundes Aufwachsen Frau Kappelhoff
Erkrankungen der Mundschleimhaut – was muss ich erkennen, was muss ich tun? Dr. Petruchin
25 Jahre gemeinsam für gesunde Kinderzähne im Land Brandenburg Dr. Rojas
Forensische Altersdiagnostik bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden Dr. Dr. Grundmann
Seltene Erkrankungen in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Dr. Hanisch
Zahnärztlich relevante Aspekte der neuen AWMF 53 (+) Kinderschutzleitlinie Dr. Schilke
Diagnose MIH – und was dann? Dr. Giraki
Dentalhygiene – ein Konzept für Entwicklungsländer in Asien Nguyen
Betriebliche zahnmedizinische Prävention – Wie könnte sie aussehen? Prof. Dr. Zimmer
Mundhygiene und Mundbefund in Pflegeheimen Dr. Schreiber
Zahnärztliche Betreuung von Pflegebedürftigen in Hessen – eine Herausforderung Dr. Weitz
Die Fähigkeit zur Zahn- und Prothesenreinigung von geriatrischen Patienten schnell und einfach testen
Dr. Schüler
Dr. Kwetkat
Vom „Schulzahnarzt“ zum kommunalen Zahnarzt Dr. Wleklinski

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