Natürlich macht Fluorid nicht dumm! Im Gegenteil!
Warum die bisherigen Studien nicht aussagekräftig sind
Getriggert von Verschwörungstheorien kreist die Debatte aktuell um die Frage, ob Fluorid den IQ von Kindern mindert. Befeuert wird dieser Diskurs vor allem von einer im Januar 2025 veröffentlichten Metaanalyse um Kyla W. Taylor, die die systemische Fluorid-Exposition bei Kindern mit einem messbaren IQ-Rückgang in Verbindung bringt.
In vielen Bundesstaaten und Kommunen wird diese Studie als Argument für eine Einschränkung der Trinkwasserfluoridierung angeführt. Denn Kritiker der Trinkwasser-Fluoridierung behaupten unter Berufung auf diese Ergebnisse, dass die Nachteile der Trinkwasser-Fluoridierung ihre Vorteile für die Mundgesundheit überwiegen.
Wie die Forschenden um John Robert Warren jetzt herausgearbeitet haben, modellierten indes fast alle von Taylor et al. berücksichtigten Studien die Folgen einer Fluoridexposition auf den IQ bei Konzentrationen, die ein Vielfaches über den im öffentlichen Trinkwasser der USA gemessenen Werten lagen. Selbst die Vergleichsgruppen mit „geringer Belastung“ in den untersuchten Studien wiesen demnach deutlich höhere Fluoridkonzentrationen auf als fast überall in den USA – in vielen der berücksichtigten Arbeiten waren sie so hoch, dass Kinder Anzeichen einer Fluorose zeigten.
Der Fluoridgehalt im Trinkwasser wurde 2015 von 1,2 mg/Liter auf die aktuell in den USA empfohlene Konzentration von 0,7 mg/Liter gesenkt. Das Team um Taylor fand demnach zwar einen starken inversen Zusammenhang zwischen Fluoridbelastung und dem IQ von Kindern, wenn die Fluoridkonzentration im Trinkwasser 1,5 mg/Liter überstieg, ihre Ergebnisse für Konzentrationen unter 1,5 mg/Liter waren jedoch nicht signifikant.
„Selbst dieser Schwellenwert von 1,5 mg/l liegt im oberen Bereich der Verteilung der Fluoridbelastung in den USA“, schreiben die Forschenden. „Daher sind die in Taylor et al. berücksichtigten Studien im Wesentlichen nicht relevant für das Verständnis der kognitiven Auswirkungen einer Fluoridbelastung des Trinkwassers auf Kinder in den USA.“
„Keine der von Taylor et al. berücksichtigten Studien wurde mit Kindern in den USA durchgeführt; keine verwendete national repräsentative Daten; und die meisten untersuchten extrem arme, ländliche Bevölkerungsgruppen in China, Indien, Mexiko oder Iran“, resümieren die Autorinnen und Autoren.
Das gilt auch für die Metaanalyse von von Jayanth V Kumar von 2023, die zwar zu dem Schluss kommt, dass es „keinen Zusammenhang zwischen der Fluoridkonzentration und den IQ-Werten“ gibt, aber nur acht Arbeiten einschließt, die sich nicht auf die USA übertragen lassen.
Neben diesen Einschränkungen seien zwei weitere Schwächen der bestehenden Forschung hervorzuheben. Erstens: Sie vernachlässige die Folgen der Fluoridexposition für die kognitive Entwicklung im weiteren Lebensverlauf. Zweitens: Sie berücksichtige weder räumliche noch andere Faktoren, die gegebenenfalls Zusammenhänge zwischen Fluoridbelastung und dem IQ verfälschen könnten. Diese Defizite seien größtenteils auf einen Mangel an prospektiven, für die USA repräsentativen Längsschnittdaten zurückzuführen, welche die Fluoridexposition im Kindesalter, die kognitive Entwicklung im Jugendalter und im höheren Alter sowie relevante potenzielle Störfaktoren berücksichtigen.
Im Unterschied dazu untersuchte die vorliegende Studie den Zusammenhang zwischen der Fluoridaufnahme durch Trinkwasser bei Kindern und deren kognitiver Entwicklung im Jugend- und Erwachsenenalter.
Verwendet wurden Daten der landesweiten Kohortenstudie „High School and Beyond“, die 1980 als repräsentative Zufallsstichprobe von 58.270 Schülerinnen und -Schülern der 10. und 12. Klasse an 1.020 US-amerikanischen High Schools begann. Eine zufällig ausgewählte Teilmenge von 26.820 Personen wurde für Folgebefragungen ausgewählt und bis 2021 mehrfach erneut befragt – zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Teilnehmer um die 60 Jahre alt.
Die Fluoridexposition von der Einschulung bis zum Ende der Sekundarschulzeit bestimmten die Forschenden anhand der Geodaten der Schulen und unter der Annahme, dass die Probanden dort, wo sie die High School besuchten, geboren und aufgewachsen sind. Um die Fluoridkonzentrationen im Trinkwasser und im unbehandelten Grundwasser zu ermitteln, nutzten sie die Archive der kommunalen Wasserversorger, außerdem den Fluoridierungs-Zensus des US-Gesundheitsministeriums und Daten des US Geological Survey.
Die kognitive Leistungsfähigkeit wurde bei den Jugendlichen auf Basis der schulischen Arbeiten und anhand von Testergebnissen bestimmt, bei den 60-Jährigen mithilfe eines Messinstruments, das Informationen zu Gedächtnisleistung, Sprachflüssigkeit und Aufmerksamkeit auswertet.
Im Ergebnis fanden die Wissenschaftler „deutliche Hinweise“ darauf, dass junge Menschen, die den empfohlenen Fluoridmengen im Trinkwasser ausgesetzt waren, in Mathematik-, Lese- und Wortschatztests in der Sekundarstufe besser abschnitten als Gleichaltrige, die nie ausreichend Fluorid aufnahmen.
So erzielten Schülerinnen und Schüler bei allen untersuchten kognitiven Leistungsparametern im Jugendalter bessere Werte, wenn sie – entweder während ihrer gesamten Kindheit oder nur in einem Teil davon – ausreichend Fluorid erhielten. Die geschätzten Effekte sind gering: etwa sieben Prozent einer Standardabweichung. Dieser Vorteil bleibt demzufolge bis zum Alter von etwa 60 Jahren bestehen, ist jedoch dann statistisch nicht mehr signifikant.
„Die Fluoridierung von Trinkwasser hat bekanntermaßen enorme Vorteile für die Mundgesundheit, und nun scheint es, dass sie auch zu besseren – und nicht schlechteren – kognitiven Testleistungen führt“, bilanziert Mitautorin Gina Rumore. „Es ist für die Öffentlichkeit – und für Menschen, die Einfluss auf die Politik haben – von entscheidender Bedeutung zu wissen, dass es absolut keine glaubwürdigen wissenschaftlichen Beweise für die Behauptung gibt, dass die Zugabe von Fluorid in empfohlenen Mengen zum kommunalen Trinkwasser den IQ von Kindern beeinträchtigt. Tatsächlich scheint das Gegenteil der Fall zu sein“, bekräftigt Hauptautor John Robert Warren.
Diese Studie beantworte zwar nicht die Frage, warum die Exposition gegenüber empfohlenen Fluoridkonzentrationen mit einer verbesserten kognitiven Leistungsfähigkeit einhergeht, schließe jedoch eine Lücke in der bisherigen Forschung.
Ihr Fazit: „Trotz dieser Einschränkungen liefern unsere Ergebnisse starke Belege dafür, dass die Fluoridexposition – in Konzentrationen, wie sie üblicherweise in den Vereinigten Staaten vorkommen und die für politische Debatten über die Fluoridierung des Trinkwassers relevant sind – Vorteile für die kognitive Entwicklung von Jugendlichen hat und schlimmstenfalls nicht schädlich für die kognitive Leistungsfähigkeit im späteren Leben ist.“
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